- Don Quixote I.
- Don Quixote II.
Don Quixote de la Mancha (auch: Don Quijote), der Ritter von der traurigen Gestalt, zählt zu den tragischen, aber auch komischen Helden der Literatur. Von einer unbändigen Fantasie angetrieben, schlüpft der landadelige Alonso Quixano (auch: Alonso Quijano) in die Rolle des Don Quixote und erwählt sich eine geheime Geliebte aus Jugendtagen zur Herzensdame. Zusammen mit seinem Stallmeister Sancho Pansa erlebt der erste Cosplayer der Literaturgeschichte diverse Abenteuer, ehe er im zweiten Teil des Romans an Fieber erkrankt und, sich seines Wahns bewusst, stirbt.
Miguel de Cervantes zweibändiger Roman Don Quixote, der im Europa des 17. Jahrhunderts als „Inbegriff der spanischen Literatur und Kultur“[1] galt und als Parodie auf den Ritterroman gelesen werden darf, in der nicht nur der Held, sondern auch diverse andere Personen Probleme mit der Wahrheitsfindung und dem Wahrheitsgehalt eben jener Ritterromane haben,[2] war seit jeher Gegenstand von Adaptionen. Ob als Theaterstück, Comic,[3] Zeichentrickserie, Realspielfilm, Musiktheater oder Redewendung – Don Quixote entwickelte sich zum festen Bestandteil unserer Kultur. Es findet sich auch in den Bilderbogen ein Fortsetzungsbogen, der einige der Abenteuer bildlich umsetzt, denn Don Quixote war immer wieder Gegenstand von bildlicher Umsetzung durch diverse Künstler, etwa Grandville (1848 posthum veröffentlicht), Gustave Doré (1863), Chodowiecki (1771)[4] oder auch Adolf Schrödter (1834). Neben diesen Illustrationen befindet sich auch im Konvolut der Münchener Bilderbogen ein zweiteiliger Fortsetzungbogen um Don Quixote von 1896 (Leben und Thaten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von La Mancha I. und II., Münchener Bilderbogen Nr. 1175 und 1176, externer Link).[5] Um der Vollständigkeit Genüge zu tun, sei zudem ein Catchpennyprint aus Kansas City genannt, der auf Bildern aus Pellerin basiert (Don Quichotte, ohne Angaben. Um 1900, externer Link).[6]
Bei den Literaturillustrationen interessieren vor allem Gustave Doré und Grandville, zwei Künstler, die beide ihren Teil zur Comicgeschichte beitrugen und sequenzielle Werke anfertigten. Gustave Doré zeichnete sich z. B. für Die äußerst anschauliche, fesselnde und seltsame Historie vom Heiligen Russland verantwortlich,[7] Grandville entwarf neben sequenziellen Bildern wie A Dream of Crime & Punishment von 1847 diverse antropomorphe Tiere.[8] Beide Zeichner fanden Eingang in die Bilderbogenreihe Jules Pelocqs, die Friedrich Leonhard Meyer stach. Gleich das erste Panel Pelocqs – es zeigt Don Quixote bei der Lektüre von Ritterromanen – gleicht dem Don-Quixote-Frontispitz Gustave Dorés (angefertigt von Hélidore Pisan):[9]
Sein bekanntes Frontispiz demonstriert die überbordende Phantasie des Titelhelden. In der Kammer einer Burg sitzt Don Quijote in einem Ohrensessel. Er deklamiert aus einem Buch und schwingt einen Degen. Ihn umdrängen phantastisch kostümiert Ritter, misshandelte Jungfrauen und ein Goliath-Riesenhaupt. […] Kleine Zusätze wie die Mäuse-Ritter im Vordergrund, der Buch-Ritter in der linken Ecke und die fliegenden Adelswappen am oberen Bildrand sind ironische Kommentare Dorés. Ein Don Quijote als inspirierter Leser wurde zwar schon vor ihm dargestellt, zum Beispiel von Tony Johannot und Célestin Nanteuil […], aber niemals gab es die Inszenierung eines solchen Deliriums: Es ist Dorés Summe des Quijote.[10]

V.l.n.r.: Jules Pelocq (Erster Bogen, Panel 1), Johann Heinrich Füssli, Gustave Doré. Der rote Kreis markiert den von Füssli übernommenen Nachtmahr.
Pelocqs Illustration weist eine sehr ähnliche Gestaltung auf, die sich nur wenig von Dorés Arbeit unterscheidet. Don Quixote sitzt in der bereits bekannten Pose auf einem Ohrensessel und liest degenschwingend einen Ritterroman. Weitere Exemplare liegen auf dem Fußboden verstreut. Aus einem geöffneten Buch entsteigen allerlei genretypische Figuren wie (Pegasus-)Pferde, Zauberer und Ritter, während sich zu seinen Füßen Dämonen und Drachen winden.
Ein leicht zu übersehenes Detail lässt sich indes auf der Lehne des Ohrensessels bestimmen: Ein kleiner Dämon mit froschähnlichen Extremitäten hockt über Don Quixote und weist eine gewisse Ähnlichkeit zu Johann Heinrich Füsslis Nachtmahr (1781) auf, jenem Dämon, der, auf der Brust der schlafenden Frau sitzend, Alpträume beschert.
Füsslis Gemäle, dessen Einfluss auf die Kunst und Karikatur jüngst Werner Busch dokumentierte,[11] verfügt in beiden Varianten über ein identisches Figureninventar. Eine schlafende Schöne, deren wallendes Haar und Oberkörper über das Ende des Bettes hinausragt befindet sich in Gesellschaft eines Dämons, eines Nachtalps bzw. Nachtmahrs, der auf ihrer Brust sitzend Alpträume beschert, sowie eines dämonisches Pferdes, das hinter einem Vorhang in Richtung der Schönheit starrt.[12] Betrachtet man nun Dorés Illustration, wird man über der Lehne zwei Pferde finden, dort, wo bei Pelocq das dämonische Wesen hockt und dem Rezipienten Alpträume bzw. wahnhafte Gedanken beschert. Man scheint hier folglich nicht nur mit der Illustration des überinspirierten Don Quixote zu spielen, sondern auch seinen Wahn mit den ebenfalls wahnhaften, alpinduzierten Träumen des füsslisschen Nachtmahrs gleichzusetzten.
Mareike Henning spricht in Der Typus Ugolino. Paralyse als Darstellungsmodus des Wahnsinns. von einer Schwellensituation die Füssli in beiden Versionen des Nachtmahrs darstellt. Es handele sich um eine „Schwellensituation zwischen Traum und Wahn, geprägt von Gewalt und Bedrängnis.“ [13] Eine Beschreibung, die auf Pelocqs Don Quixote ebenso zutrifft, wie auf Füsslis Nachtmahr. Roland Borgards verweist weiterhin auf Erasmus Darwins Definition des Nachtmahrs:
Der Alp, so formuliert es Erasmus Darwin, ist kein Dämon wie für die Antike, und kein Teufel, wie für das Mittelalter, der den Schlafenden von außen heimsucht, sondern etwas, das der Schlafende in einem physio-psychischen Prozess selbst hervorbringt: Mitunter reicht eine ‚zu starke Abendmahlzeit‘ oder ‚zu viel Wein‘, verbunden mit ‚ einige[n] unangenehme[n] Empfindungen‘, und schon entfaltet sich ‚die Krankheit des Alps‘.[14]
Anstatt einer Abendmahlzeit oder zu viel Weins[15] lösen in Don Quixote die Lektüre, die ‚geistige Nahrung‘ des Alonso Quixano jene Wahnzustände aus, die ihn zu Don Quijote werden lassen. Man denke hier auch an Figuren wie Stevensons Dr. Jekyll und Mr Hyde, der sich durch die Einnahme eines Pulvers bzw. Tranks zu einem Monster wandelt und dessen bürgerliche Persönlichkeit langsam schwindet,[16] oder Lee / Kirbys The Incredible Hulk, der, sobald er in Wut gerät, zu einem grünen Monster mutiert und mit ähnlichen Ängsten von der Identitätsauslöschung kämpft.[17] An Stelle der Animalisierung tritt bei Peloqs Interpretation des Don Quixote lediglich eine Identitätsänderung, wie man sie oft in Comics des 20. Jahrhunderts vorfindet, wie etwa He-Man, der, unter dem Einfluss eines Zauberschwerts stehend vom langweiligen und ängstlich-schwächlichen Königssohn Prinz Adam zum mutigen Muskelprotz He-Man mutiert,[18] wandelt sich Alonso Quixano unter Einfluss seiner Bücher und dem daraus resultierenden Tagtraum / Wahn zu Don Quixote.
Bereits im dritten Panel des ersten Bogens erfolgt der nächste intertextuelle Dialog. Sancho Pansa wird von einem Wirt und den anwesenden Kneipenbesuchern mittels eines Tuchs durch die Luft geschleudert, während Don Quixote hinter einer Mauer stehend, das Treiben beobachtet. Sowohl bei Grandville als auch im Bilderbogen Pelocqs ähneln sich Darstellung und Bildaufbau erheblich. Neun Personen halten das Tuch fest, Sancho Panso fliegt durch die Luft und Don Quixote blickt, mit Lanze und Schild bewaffnet, über eine Mauer. Jules Pelocqs Zeichnung weist indes eine leichte perspektivische Andersartigkeit auf und schmückt die Szene weiter aus. Um der Vollständigkeit willen soll noch eine weitere Ähnlichkeit benannt werden: Die Illustration Grandvilles ähnelt frappierend einem Bild Tony Johannots von 1836/37. Lediglich Don Quixote nimmt eine andere Position ein (er befindet sich rechts hinter der Mauer) und ein schemenhaftes Haus wird am linken Ende der Mauer angedeutet.
Weitere Referenzen bleiben jedoch aus. Zwar ähneln sich einige Bilder, jedoch nicht in so hohem Grad, dass von einer Referenz gesprochen werden darf, denn die Geschichte selbst nennt Schlüsselszenen, deren Illustration notgedrungen relativ ähnlich ausfallen. Don Quixote stirbt z. B. immer am gleichen Ort usw. Der Bogen erzählt darüber hinaus sehr szenisch (Von Szene zu Szene) und auch in der Wahl der Perspektive wurde nicht experimentiert, wie die folgende Analysetabelle verdeutlicht.
Analysetabellen anzeigen …Deutsche Bilderbogen für Jung und Alt Nr. 222: Don Quixote I. |
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Panel 1 | Text (T): „Seine Phantasie ist erfüllt mit den Gestalten von Drachen und verfolgten Jungfrauen und den Abenteuern fahrender Ritter.“
Bild (B): Don Quixote, umgeben von kleinen fantastischen Wesen, Rittern u. dgl. mehr, sitzt in seinem Sessel. In der einen Hand ein Schwert haltend, liest er ein Buch. Einem Buch, das aufgeschlagen am Boden liegt, entsteigen die zuvor genannten Wesen. Auf der Sessellehne sitzt ein kleines Wesen. Fokus (F): Don Quixote. Bildmittelpunkt (BM): Buch in Don Quixotes Hand. Perspektive (P): Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 2 | T: „Er hält in der Ferne einige Windmühlen für Riesen und läßt sich in einen Kampf mit ihnen ein.“
B: Don Quixote kämpft gegen Windmühlen und fällt dabei vom Pferd. Das Pferd wird ebenfalls von den Mühlenflügeln umgerissen. Sancho Pansa steht mit erhobenen Armen neben seinem Esel und beobachtet seinen Gefährten in sicherer Entfernung. F: Don Quixote und sein Pferd, die sich in einem der Mühlenflügel verfangen haben. BM: Pferd. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 3 | T: „Sein Diener Sancho wird in einem Wirthshaus geprellt, weil die Zeche nicht bezahlt wurde.“
B: Sancho Pansa wird von einer Personengruppe mittels eines großen Tuchs in die Lüfte geworfen. Don Quixote schaut, mit angelegter Rüstung, Schild und Schwert bewaffnet, über eine Mauer. Ein Hund steht neben dem Hut Sanchos, der auf dem Boden liegt. F: Sancho Pansa und Don Quixote. BM: Ein Mann aus der Personengruppe (trägt einen Hut sowie eine Weste und es könnte sich bei ihm um den Wirt handeln. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 4 | T: „Während der Ritter und Sancho schlafen, wird der Esel des Letzteren gestohlen.“
B: Don Quixote und Sancho Pansa schlafen. Don Quixote liegt ausgestreckt am Boden, sein Schild hängt an einem Baum. Sancho Pansa lehnt an jenem Baum. Ein Dieb stiehlt den Esel. F: Esel. BM: Sancho Pansa. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 5 | T: „Don Quixote im Kampf mit vollen Weinschläuchen. Den denselben entströmenden Rothwein hält er für Feindesblut.“
B: Don Quixote kämpft mit Weinschläuchen und wird von einem Mann und einer Frau dabei ertappt. F: Weinschlauch. BM: Mann P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 6 | T: „Don Quixote wird von einem Mädchen, die er in sich verliebt glaubt und der er auf seinem Rosse stehend die Hand durchs Fenster reicht, diese fest gebunden, so daß er bei Anbruch des Tages zwischen Himmel und Erde schwebend gefunden wird.“
B: Don Quixote wurde mit einem Arm an ein Fenstersims gefesselt. Unter ihm befindet sich sein Pferd. F: Don Quixote. BM: Wand. P: Auf Augenhöhe. |
Deutsche Bilderbogen für Jung und Alt Nr. 223: Don Quixote II.
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Panel 1 | Text (T): „Don Quixote stellt sich unerschrocken zum Kampfe einem Löwen gegenüber, dessen Käfig er öffnen läßt. Der Löwe zieht vor, sich ruhig umzudrehen und wieder einschließen zu lassen.“
Bild (B): Don Quixote steht vor einem offenen Löwenkäfig und bedroht das Tier. Sancho Panso liegt auf dem Dach des Käfigs und öffnet ihn. Fokus (F): Don Quixote. Bildmittelpunkt (BM): Don Quixote. Perspektive (P): Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 2 | T: „Der tapfere Ritter nimmt einem Marionetten=Theater die Parthei der unschuldig Verfolgten und schlägt die Verfolger kurz und klein.“
B: Don Quixote kämpft gegen Marionetten. Er ist von Menschen umgeben. F: Don Quixote. BM: Eine Turmkulisse. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 3 | T: „Don Quixote und Sancho auf dem Zauberpferd, das sie durch die Lüfte nach dem 3000 Stunden weit entfernten Königreich Candana bringen soll.“
B: Don Quixote und Sancho Pansa reiten mit verbundenen Augen auf einem Holzpferd. F: Don Quixote, Sancho Pansa und das Pferd. BM: Pferd. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 4 | T: „Sancho als Statthalter beim Mahle. Die leckersten Speisen verbietet ihm sein Leibarzt zu genießen.“
B: Sancho wohnt einem Mahle bei. F: Sancho Pansa. BM: Tischkante. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 5 | T: „Don Quixote und die alte Ehrendame einer Herzogin halten sich gegenseitig für Gespenster und sind beide vom gleichen Schrecken erfaßt.“
B: Don Quixote steht in seinem Bette, die Herzogin liegt auf dem Boden. F: Don Quixote. BM: Don Quixote. P: Auf Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 6 | T: „Don Quixote stirbt, geheilt von der fixen Idee, ein irrender Ritter zu sein und wird aufrichtig von seinen Angehörigen und dem getreuen Sancho beweint.“
B: Don Quixote liegt sterbend im Bett, er ist von trauernden Menschen umgeben. F: Don Quixote. BM: Eine trauernde Person, die neben dem Bette kniet (vermutlich Sancho Pansa). P: Auf Augenhöhe. |
Es offenbart sich folgende Bogenstruktur: Die Abfolge der Panels erfolgt der westlichen Leserichtung entsprechend von rechts nach links. Der Bogen beginnt im ersten Panel mit dem Lesenden Alonso Quixano, der, inspiriert von Ritterromanen, zu Don Quixote wird (Kapitel 1). Ab Panel 2 tritt er nun nur noch als Ritter in Erscheinung und erlebt diverse Abenteuer. Anders als im ersten Roman von Cervantes endet der Bilderbogen nicht mit der gewaltsamen Heimbringung Don Quixotes durch einen Pfarrer und einen Barbier (beide Figuren sind nicht Teil des Bilderbogens, trotz ihrer wichtigen Rolle innerhalb der Romane, denen auch einige eigene Kapitel gewidmet werden),[19] sondern mit der Fesselung des Ritters durch ein Mädchen. An einem Fensterbrett hängend, beendet Pelocq seine Adaption mit einem ‚Cliff-‘ bzw. ‚Ledgehanger‘: Eine Frau fesselt den Ritter von der traurigen Gestalt an das Fensterbrett. Der zweite Bogen beginnt mit dem 17. Kapitel des zweiten Buchs. Don Quixote kämpft gegen einen Löwen, der sich in einem Käfig befindet. In unterschiedlich großen Sprüngen zwischen den Kapiteln (Erster Band bzw. Bogen: 1., 8., 17., 23., 35. und 43. Kapitel. Zweiter Band bzw. Bogen: 17., 26., 41., 47., 48. und 74. Kapitel) wird der Roman auszugsweise illustriert, endet aber mit dem Tode des Don Quixot. Sich nun seines Wahns bewusst wird er „aufrichtig von seinen Angehörigen und dem getreuen Sancho beweint.“[20] An dieser Struktur orientieren sich die Narrationsgruppen. Sie werden bogenübergreifend bestimmt. Gruppe 1 umfasst den ersten Bogen, Panel 1 (Einleitung und bildliche Darstellung der Fantasie des Alonso Quixano), Gruppe 2 umfasst den ersten Bogen Panel 1 bis 5 (Hauptteil 1: Verschiedene Abenteuer des Don Quixote, der sich in diesen Panels in wahnhafter Verfassung befindet und sich in der Rolle eines Ritter wähnt), Gruppe 3 umfasst Panel 6 des ersten Bogens (Cliffhanger) und Gruppe 4 besteht aus dem zweiten Bogen, Panel 1 bis 5 (Hauptteil 2: Verschiedene Abenteuer des Don Quixote) und Gruppe 5 besteht aus dem sechsten Panel des zweiten Bogens (Schluss: Alonso Quixano stirbt und ist sich nun seines Wahns bewusst).
Gruppe 3 soll, ob ihrer Besonderheit, gesondert betrachtet werden, denn es handelt sich um einen klassischen Cliffhanger – dem Rezipienten wird eine Situation präsentiert, die den Helden der Geschichte in einer scheinbar aussichtslosen Notlage präsentiert. Erst in der Fortsetzung (Zweiter Bogen) wird diese Ungewissheit geklärt. Der Begriff Cliffhanger stammt indes nicht, wie oft behauptet, aus der Filmwissenschaft, sondern fußt auf der seriellen Populärliteratur des späten 19. Jahrhunderts und darf demnach bedenkenlos auch auf Bilderbogen angewendet werden, denn: „Am Ende einer Episode sieht man den Helden an einer Klippe hängen, nicht wissend, ob er in den Tod stürzen wird oder nicht. Die nächste Episode in der nächsten Woche nimmt diese Situation wieder auf – meist mit der Rettung des Protagonisten – und endet in einer neuen ungewissen Situation.“[21] Dass es sich bei Pelocqs Illustration – wie bereits zuvor erwähnt – nicht um eine Klippe handelt, sondern um ein Fensterbrett, darf als ironisches Spiel mit den bereits damals bekannten Konventionen bewertet werden.
Panelgruppen lassen sich derweil nicht bestimmen, was an der szenenartigen Sprunghaftigkeit der illustrierten Szenen liegt – die einzig verwendete Induktionsmethode Von Szene zu Szene deutet bereits auf diesen Umstand hin. In allen zwölf Panels (sechs je Bogen), die sich selbst begrenzen, d. h. ihr Inhalt bestimmt ihre Form und ein Rahmen ist nicht vorhanden, der Text steht unterhalb des Bildes (Strukturtyp S 3, Abweichung 5), wird einheitlich die Perspektive Auf Augenhöhe verwendet und der Text erklärt überwiegend die im Bild dargestellten Szenen (Doppelung von Bild und Text). Lediglich Entfernungen, Namen von Ländern (zweiter Bogen, Panel 3) oder der Hinweis auf ein Mädchen hinter einem Fenster werden (erster Bogen, Panel 6) dem Bildinhalt hinzugefügt – das Verhältnis ist hier überschnitten. Auf der McCloud-Realismusskala entsprechen die Illustrationen dem Bereich 60 bis 64 sowie 79 bis 84.
Die Don-Quixote-Reihe der Deutschen Bilderbogen wird der Serialitätskategorie Panelstruktur- und Musikbogen a) zugeordnet, denn mehrere Panelstrukturbogen erzählen eine Geschichte. Weitere, in den Fußnoten genannte Exemplare, lassen zudem die Kategorisierung d) zu, denn mehrere Panelstrukturbogen verwenden identische Protagonisten in verschiedenen Abenteuern (unabhängig von Verlag und Zeichner). Die Reihe kann dem intertextuellen Dialog (es lassen sich eindeutige Bildzitate zu Füsslis Nachtmahr sowie Buchillustrationen nachweisen) und der Wiederaufbereitung zugeordnet werden, denn eine bereits bekannte Geschichte wird erneut erzählt (siehe hierzu auch die in den Fußnoten besprochenen Bogen anderer Verleger und / oder Zeichner).
Belege:
[1] Vgl. Meyer-Minnemann, Klaus: Zur Entstehung, Konzeption und Wirkung des Don Quijote in der europäischen Literatur. In: Europäische Dimensionen des Don Quijote in Literatur, Kunst, Film und Musik. Hrsg. von Tilmann Altenberg u. Klaus Meyer-Minnemann. Hamburg 2007. S. 12.
[2] Vgl. ebd. S. 25.
[3] Vgl hierzu auch:
- Flix: Don Quijote. Hamburg 2012.
- Davis, Rob: Don Quixote. Berlin 2015.
- Dijan, Philippe: Miguel de Cervantes Don Quijote. Gütersloh u. München 2012. [= Brockhaus Literaturcomics].
[4] Chodowiecki fertigte auch zwölf Kupferstiche zu Leben und Taten des weisen Junkers Don Quixote von La Mancha an, einer inoffiziellen Fortsetzung des ersten Bandes durch Alonso Fernández de Avellaneda (ein Pseudonym, der Verfasser bleibt weiterhin unbekannt), dessen Buch laut Werner Bahner Einfluss sowohl auf die Ausgaben des ersten (überarbeitete Fassung) als auch des zweiten Bandes von Cervantes nahm. (Vgl. Bahner, Werner: Nachwort. In: Avellaneda, Alonso Fernández: Leben und Taten des weisen Junkers Don Quixote von La Mancha. Mit Kupferstichen von Daniel Chodowiecki. München 1968. S. 566 u. S. 573)
[5] Obschon auf zeichnerischer Ebene sehr verschieden, gleicht zumindest der erste Bogen von Eduard Ille (der zudem in Versen erzählt) in seiner Ereignisauswahl teilweise den Stuttgarter Bogen: Nach einer Vorstellung der Protagonisten (Panel 1) findet sich Don Quixote in einem Wirtshaus wieder, wo er zum Ritter geschlagen wird (Panel 2). Er kämpft gegen Windmühlen (Panel 3), raubt einem Barbier das Seifenbecken (Panel 4) – es dient ihm fortan als Helm –, rettet Sancho Pansa vor seiner Strafe für Zechprellerei (Panel 5) und kämpft im sechsten Panel gegen einen Löwen. Im zweiten Bogen hält Don Quixote Wassermühlen für Räuberhöhlen (Panel 1), ein Herzogspaar lädt den Ritter auf ihr Jagdschloss ein, um seine Späße mit ihm zu treiben (Panel 2), er kämpft gegen eine Büffelherde (Panel 3), dann gegen Schweine (Panel 4), es folgt der Kampf mit einem echten Ritter (Panel 5) und er kehrt heim und stirbt, sich immer noch im Wahn befindend, in den Armen Sancho Pansas (Panel 6).
(Bilderbogen nach: Urbino, Eduardo: Cervantes Project. Est. 1995: TAMU Departement of Hispanic Studies, Center for the Study of Digital Libraries u. Dr. Fred Jehle: Oconography of Don Quixote. http://cervantes.dh.tamu.edu/dqiDisplayInterface/doSearchImages.jsp?id=1586&page=1&orderBy=1 [konsultiert am: 03.04.2018].)
[6] Don Quixote liest alte Bücher (Panel 1), reitet auf seinem Pferd und sucht nach Abenteuern (Panel 2), lässt sich in einer Kneipe zum Ritter schlagen (Panel 3), wird von einem Maultiertreiber zusammengeschlagen (Panel 4), seine Bücher werden verbrannt (Panel 5), er greift Windmühlen an (Panel 6), er wird verwundet und von Sancho Pansa nach Hause gebracht (Panel 7), Sancho Pansa wird wegen Zechprellerei bestraft (Panel 8), Don Quixote raubt einem Barbier die Seifenbecken (Panel 9), er spielt Sancho Pansa seine Erlebnisse vor und bittet ihn, Dulcinea von diesen zu berichten (Panel 10), Sancho Pansa ist glücklich (Panel 11), Don Quixote greift Puppen an (Panel 12), er wird vom Kammermädchen einer Gräfin rasiert (Panel 13), reitet auf einem Zauberpferd (Panel 14), kehrt in seine Heimat zurück (Panel 15) und stirbt in der Mitte seiner Familie (Panel 16). (Catchpennyprint nach: Anonymus: Don Quichotte. http://cervantes.dh.tamu.edu/dqiDisplayInterface/displayMidImage.jsp?edition=541&image=1900-Paris-Imagerie-01–001.jpg [konsultiert am 02.08.2018].)
[7] Vgl. hierzu: Doré, Gustave: Die äußerst anschauliche, fesselnde und seltsame Historie vom Heiligen Russland nach ältesten Quellen und Historikern: Nestor, Nikan, Sylvester, Karamsin, Ségur u. a. erläutert und illustriert mit 500 herrlichen Bildern, gezeichnet von Gustave Doré und in Holz gestochen unter der Mitarbeit der gesamten neuen Schule unter der Oberleitung von Sotain. Übersetzt von Oskar Weitzmann, mit einem Nachwort von François Bondy. Gütersloh 1970.
[8] Vgl. hierzu:
- Grandville: A Dream of Crime & Punishment. Vances 1847.
- Grandville: Bilder aus dem Staats- und Familienleben der Tiere. Erster Band / Zweiter Band.
[9] Vgl. Hartau, Johannes: Don Quijote als Thema der bildenden Kunst. In: Europäische Dimensionen des Don Quijote in Literatur, Kunst, Film und Musik. Hrsg. von Tilmann Altenberg u. Klaus Meyer-Minnemann. Hamburg 2007. S. 137.
[10] Vgl. ebd. S. 137.
[11] Zu Füsslis Nachtmahr vergleiche: Busch, Werner (Hg.) et. al.: Füsslis Nachtmahr. Traum und Wahnsinn. Petersberg 2017.
[12] Weniger bekannt: Auf der Rückseits des Gemäldes befindet sich ein Portrait einer Frau, vermutlich Anna Landolt. (Vgl. Busch, Werner: Füsslis ‚Nachtmahr‘. Der Alp und die Schöne. Eine Pathosformel und ihre Folgen. In: ders. et. al.: Füsslis Nachtmahr. Traum und Wahnsinn. Petersberg 2017. S. 21.)
[13] Henning, Mareike: Der Typus Ugolino. Paralyse als Darstellungsmodus des Wahnsinns. In: Busch, Werner et. al.: Füsslis Nachtmahr. Traum und Wahnsinn. Petersberg 2017. S. 45.
[14] Borgards, Roland: Am Rande des Wahnsinns. Romantische Alpträume und die Psychologie um 1800. In: Busch, Werner (Hg.) et. al.: Füsslis Nachtmahr. Traum und Wahnsinn. Petersberg 2017. S. 52.
[15] Winsor McCay, dessen Hauptwerke Little Nemo in Slumberland und Dream of the Rarebit Fiend ebenfalls mit Träumen befassen und zu dessen Einflüssen Sigmund Freud dezidiert nicht zählt – obschon sich die Beobachtungen des Comiczeichners und des Psychoanalytikers erstaunlich punktgenau überschneiden (vgl. Braun, Alexander: Winsor McCay. S. 80 – 81.) – scheint auch von Erasmus Darwin beeinflusst oder beobachtete zumindest ähnliche Vorgänge:
Alle Alpträume aus der Feder Winsor McCays haben einen gemeinsamen Ursprung: einen ‚Welsh Rarebit‘ – ein Gericht aus geschmolzenem oder überbackenem Käse. […] McCay interessierte sich ohnehin nur für zwei Aspelte dieses Gaumenschmauses: a) das abendliche Mahl war mächtig genug, dass es dem Konsumenten schwer im Magen lag und ihnen so einen Alptraum bescherte und b) die Konsumenten waren diesem Gericht in einem Maße verfallen, dass sie nicht davon lassen konnten, obwohl ihnen die alptraumhafte Folgen bewusst waren. (Braun, Alexander: Winsor McCay. S. 81 – 82.)
Der Alptraum entsteht demnach auch bei McCay als Folge des Nahrungsverzehrs am Abend.
[16] Vgl. Stevenson, Robert Louis: Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Aus dem Englischen übersetzt von Hermann Wilhelm Draber. Stuttgart 1984.
[17] Vgl. [Art.] (Der unglaubliche) Hulk. In: Kagelmann, Jürgen: Who’s who im Comic. Hrsg. von Jürgen Kagelmann. München 1997. S. 138 – 139.
[18] Vgl. hierzu: Mhan, Pop u. Keith Giffen: Desperate Times. Burbank 2013 (=He-Man and the Masters Of The Universe #1). Und: [Art.] He-Man. In: Who’s who im Comic. S. 135 – 136.
[19] Vgl. z. B. Cervantes Saavedra, Miguel: Don Quijote. Aus dem Spanischen von Ludwig Braunfels. Mit 23 Illustrationen von Grandville. Mannheim 2012. S. 269 – 284.
[20] Vgl. Deutsche Bilderbogen für Jung und Alt Nr. 223: Don Quixote II.
[21] Bender, Theo u. Margit Tröhler: Cliffhanger. In: Lexikon der Filmbegriffe. http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=112 [konsultiert am 28.03.2018].