Ein krummbeiniger Knecht, Frieder genannt, empfängt für seine langjährige Arbeit drei Heller Lohn und zieht in die Welt hinaus. Auf seinen Wanderungen trifft der Junge einen Waldgeist und tauscht seinen Lohn gegen ein Vogelrohr sowie eine Zaubervioline ein, die jeden Zuhörer in Tanzwut zu versetzten vermag. Als Ersatzt für den dritten Heller verleiht ihm der Waldgeist eine magische Fähigkeit, die das Abschlagen einer ersten Bitte unmöglich macht.
Wenig später trifft der Junge auf einen Mann mit langem Bart. Dieser möchte einen Vogel verspeisen kann das Tier jedoch nicht erreichen. Frieder erlegt den Vogel und der tote Körper fällt in einen Dornenbusch. Ehe der Bärtige das Tier zu fassen bekommt, beginnt der Junge, aufzuspielen. Von der Tanzwut ergriffen zerkratzt das Gesicht des Mannes und in seiner Pein bietet er einen Beutel Gold an. Nach dem erzwungenen Handel trennen sich die beiden, doch der alte Mann zeigt Frieder bei einem Richter an. Man verhaftet den Unruhestifter und verurteilt ihn zum Tode. Mit Hilfe der Violine gelingt es dem Verurteilten der Vollstreckung zu entkommen, der Anzeigensteller entpuppt sich selbst als Dieb und wird sogleich gehängt. Frieder zieht ins Land und verdiente sein Geld weiterhin als Musikant.
Das Märlein vom kleinen Frieder mit der Geige existiert in der deutschsprachigen Literatur in vielen Varianten und geht laut den Brüdern Grimm auf Albrecht Dietrich zurück. Hier wird Frieder ‚Dulla‘ genannt: „Bei Dietrich heißt der Bauernknecht [.] Dulla (der Name erinnert an Till oder Dill Eulenspiegel, den lustigen Schalksknecht; vergl. das schwed. und altnord. Wort thulr homo facetus, nugator Spielmann) […].“[1] Weiterhin handelt es sich beim alten Mann in vielen Fassungen um einen Mönch –[2] so auch in Albert Ludwig Grimms Ein lustiges Mährlein vom kleinen Frider mit seiner Geige,[3] der bei den Brüdern Grimm – man steht in keinerlei Verwandtschaftsbeziehung, konkurrierte jedoch miteinander[4] – keine Erwähnung findet.[5] Dieses Vorgehen mag dem Umstand geschuldet sein, dass ein Streit zwischen den Namensvettern in den Vorreden zu den Kinder – und Hausmärchen sowie Lina’s Mährchenbuch entbrannte:
Diese [Anm. JA: Brüder Grimm] hatten auch bei der Herausgabe ihres ersten Bandes in den Anmerkungen zu ihrer Vorrede auf die Sammlung von A. L. Grimm Bezug genommen. Dort heißt es: „Ausdrücklich aber muß noch bemerkt werden, daß eine vor ein paar Jahren von einem Namensverwandten A. L. Grimm unter dem Titel ‚Kindermärchen‘ zu Heidelberg herausgekommene, nicht eben wohl gerathene, Sammlung mit uns und der unsrigen gar nichts gemein hat.“ A. L. Grimm kritisierte daraufhin in seiner Vorrede zu „Lina’s Mährchenbuch“ die Märchen der Brüder Grimm, die in deren romantischem Freundeskreis ebenfalls nicht nur Zustimmung gefunden hatten. A. L. Grimm begründet seine Kritik mit den Worten: „Die meisten ihrer […] Mährchen tragen noch das Gepräge eines ganz gewöhnlichen Erzählers aus dem Volke mit allen seinen Fehlern, wie es denn überhaupt an der übrigen so sehr verdienstlichen Sammlung zu bedauern ist. daß nicht sorgfältig davon abgeschieden wurde, was doch augenscheinlich durch die Länge der Zeit, während dieses Mährchen Volkseigenthum waren, von verschiedenen Erzählern Schlechtes und Unpoetisches in Form und Stoff zugemischt ist, woher es auch kommt, daß man unter verschiedener Form dasselbe Mährchen oft zwey- oder dreymal in demselben Buche findet.“[6]
Im Gegensatz zu den Brüdern Grimm gerieten die Märchenbücher des Namensvetters in Vergessenheit. Schade berichtet von einer zweiten Auflage im Jahr 1837 und einer preisgünstigeren Ausgabe zwei Jahre später. Lina’s Mährchenbuch wurde mit acht Illustrationen versehen, die von Fr. Krätzmer stammten – die KinderMärchen hingegen illustrierte Franz von Pocci, der auch den vorliegenden Münchener Bilderbogen anfertigte.[7]
Zwischen den einzelnen Fassungen lassen sich mehrere Unterschiede bestimmen, die im folgenden tabellarisch aufgelistet werden.
Adalbert Ludwig Grimm | Brüder Grimm | Münchener Bilderbogen Nr. 122 | Deutsche Bilderbogen Nr. 182 |
- Frieder ist kleinwüchsig, krummbeinig und arm.
- arbeitet als Knecht bei einem Bauern.
- nach drei Jahren zieht er in die Welt hinaus, erhält drei Heller.
- trifft auf Berggeist und tauscht die Heller ein.
- trifft auf Mönch, der trotz Fastenzeit eine Taube verspeisen möchte.
- Taube fällt in Dornbusch, Frieder beginnt aufzuspielen.
- Frieder erpresst das Geld des Mönches.
- man geht gemeinsam zur nächsten Stadt.
- Mönch schwärzt Frieder an.
- Frieder wird zum Tode durch den Strang verurteilt.
- Frieder spielt sich frei.
- Menschen folgen ihm tanzend, lediglich die Müdigkeit stoppt sie.
- Frieder zieht in andere Städte und verdient sein Geld durch seine Violine. |
- keine Angaben zur Größe oder zum Namen. Als Charaktereigenschaft wird Gutmüthigkeit und Fleiß genannt.
- arbeitet als Knecht bei reichem Mann.
- Herr behält Lohn aus Gier ein, nach drei Jahren verlangt der Knecht seinen Lohn.
- trifft auf kleines Männchen, dass die Heller gegen Wünsche tauscht.
- Protagonist trifft auf hungrigen Juden, erlegt einen Vogel.
- Beginnt zu musizieren und erpresst so das Geld seines Opfers.
- Jude zeigt den Knecht im nächsten Dorf an.
- Protagonist wird zum Tode durch den Strang verurteilt und spielt sich frei.
- Erspresst vom Juden ein Geständniss. Dieser stahl das Geld selbst und wird exekutiert.[8] |
Frieder ist klein und krummbeinig.
- arbeitet bei einem Bauern.
- Nach drei Jahren will er in die Welt ziehen und bekommt drei Heller lohn.
- trifft auf Berggeist Rebelkapp, dieser nimmt Frieder das Geld ab und beschenkt ihn dafür.
- Frieder trifft auf konfessionslosen Mann, tötet den Vogel, beginnt zu musizieren.
- Mann verspricht Frieder Geld, wenn er aufhöre, zu spielen.
- Wenig später zeigt er Frieder an, dieser wird zum Tode verurteilt.
- Frieder spielt sich erneut frei.
- Mann stellt sich als Dieb heraus und wird hingerichtet.
- Frieder zieht in die Welt und verdient sein Geld als ehrlicher Musikant. |
- keine Angabe zur Größe oder zum Namen. Als Charaktereigenschaft wird Fleiß, Redlichkeit, Zufriedenheit und Fröhlichkeit angegeben.
- arbeitet bei einem reichen Mann.
- Herr behält Lohn aus Geiz ein, nach drei Jahren verlangt der Knecht seinen Lohn. Er erhält drei Taler.
- trifft auf kleines Männchen, aus Mitleid schenkt er ihm seine drei Taler und erhält als Gegenseistung drei Wünsche.
- Protagonist trifft Juden, der einen Vogel ob dessen schöner Stimme besitzen möchte. Frider erlegt das Tier.
- Frieder beginnt, zu musizieren und erpresst so das Geld seines Opfers.
- Jude zeigt Frieder im nächsten Dorf an, die Leute des Richters fangen den Jungen.
- Protagonist wird zum Tode durch den Strang verurteilt und spielt sich frei.
- Erpresst vom Juden ein Geständniss. Dieser gesteht und wird exekutiert. |
Der größte Unterschied zwischen den Versionen besteht folglich im moralischen Kontext. Während der Mönch bei Albert Ludwig Grimm für seinen Regelverstoß bestraft wird, letztendlich aber überlebt, erscheint der Jude vorerst als unschuldig, ehe er sich als Dieb herausstellt und seine Exekution erfolgt. Grundlegend anders der Münchener Bilderbogen: Frieder, weniger verschlagen als bei den Grimm-Varianten, wird vom Berggeist um sein Geld gebracht, handelt aber nicht, sondern wird beschenkt. Die Konfession des ersten Opfers bleibt dem Leser verborgen. Frieder versucht sich ebenfalls als Langfinger, erfährt Läuterung und wandelt sich zu einem ehrlichen Bürger. Der religionskritische Unterton Albert Ludwig Grimms und die antisemitische Passagen der Brüder Grimm wurden getilgt – eine allgemeingültige moralische Grundaussage dem Märchen hinzugefügt. Der Deutsche Bilderbogen hingegen orientiert sich an den Brüdern Grimm und fasst das Märchen zusammen – somit bleibt auch der antisemitische Unterton des Märchen erhalten.
Eine weitere erwähnenswerte Fassung lies sich in der digitalen Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek ausmachen. 1839 bei Georg Franz in München verlegt wird sie Franz von Pocci zugeschrieben, jenem Illustrator, der auch den vorliegenden, fünfzehn Jahre später entstandenen Münchener Bilderbogen illustrierte. Unter dem Titel Das Märlein vom kleinen Frieder mit seinem Vogelrohr und seiner Geige offenbart sich eine texthistorisch kuriose Ausgabe: Neben Titelillustration und Frontispiz wurden weitere 21 Bilder angefertigt, die keine Übereinstimmung zu denen des Bilderbogens aufweisen. Der Text indes vermischt die genannten Varianten. Bis Seite 15 richtet er sich nach Albert Ludwig Grimm,[9] es erfolgt ein abrupter Wechsel zu den Brüdern Grimm: [Anm. JA: Die Kursivierung markiert den Text Albert Ludwig Grimms, es folgen die Brüder Grimm, Unterstreichungen markieren von Franz von Pocci hinzugefügte Textelemente] „Er war aber schon eine gute Strecke gegangen und war den hohen Felsberg schon herunter=gestiegen, da begegnete er einem Juden mit [Brüder Grimm: einem] langem Ziegenbart, der stand und horchte auf den Gesang eines Vogels, der hoch oben in der Spitze eines Baumes saß.“[10]
Der textlastige Münchener Bilderbogen Nr 122 erzählt den Text in einem Metapanel nach und entspricht der westlichen Leserichtung. Teilbereich (1) zeigt Frieder und seine ehemaligen Arbeitgeber im linken, oberen Teil des Bildes. Bildbereich (2) wird mit Hilfe eines Hauselements aus Bildbereich (4) und (5) abgetrennt, bei dem es sich um das zweite Stockwerk des Gerichtsgebäudes / Rathauses handelt; (1) spielt folglich auf dem Balkon desselben. Die abgebildete Szene in (2) bildet das Zusammentreffen Frieders mit dem Naturgeist ab. Ein antropomorphe Wolke steigt hinter einem Berg empor, auf dessen Gipfel der junge Schalk demüthig und dem Geist zugewandt, kniet. Ein weiteres Separationselement stellt der Galgen aus Bildbereich (5) dar. Ehe der Rezipient die Untaten des Violinisten zu sehen bekommt, wird sein Blick an der Strafe für die zu begehende Tat vorbeigeführt. Überdies wird Bereich (3) von einem Baum abgetrennt, dessen Krone und Stamm den linken bzw. oberen Teil des Bildes abgrenzen. Ein Dornenbusch separiert den unteren Teil des Subpanels. Dem Rezipienten offenbart sich Frieder, der sein Opfer in Tanzwut versetzt um an seine Habseligkeiten zu gelangen. Subpanel (4) lenkt den Blick nun nach links ins Gerichtsgebäude / Rathaus. Wie auch im Froschkönig umrahmt ein Raum das entsprechende Subpanel. Neben der Juristikation wird auch der Ankläger sowie der Beklagte abgebildet. Frieder selbst lässt sich anhand seiner auf den Rücken gebundenen Violine identifizieren. wirkt allerdings älter als noch auf den anderen Bildabschnitten. Die Gewandung und die Barttracht des Anklägers geben, wie auch in Abschnitt (3) einen Hinweis, dass es sich um einen Juden handeln könnte. Hut, Bart und Form der Nase erinnern an antisemitische Karikaturen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit.
Subpanel (5), der größte Teil des Bildes, weist einige interessante Eigenschaften auf, denn er verweist auf eine Gleichzeitigkeit im Bild. Während das Rathaus / Gerichtsgebäude zum Rezipienten hin offen gestaltet wurde, sich auch in der Bildrealität selbst ein Fenster auf beiden Seiten des Gebäudes befindet, deutet sich an, dass die Hinrichtungsszene parallel zur Verhandlung stattfindet, was jedoch eine temporal Unmöglichkeit darstellt. Diese Gleichzeitigkeit wird durch Bildelemente wie einem Vorhang, der über die Mauer in das Gebäude hineinreicht, unterstützt. Er wurde fallengelassen, was die Gestaltung des gegenüberliegende Fensters verdeutlicht. Anders als die separierten Bereiche (1), (2) und (3), in denen deutlich unterschiedliche Szenen des Märchens abgebildet werden, gehören die Bereiche (4) und (5) zusammen. Abweichend von Der arme Müllerbursche und das Kätzchen, Rapunzel oder Wie der Hase den Fuchs prellt scheint eine Interaktion zwischen den Bildabschnitten zu bestehen: Ein Junge klettert an einer Säule empor, die Teil des Fensters ist – Teile seines Körpers befinden sich demnach in Abschnitt (4) – ein Wächter befindet sich direkt unter dem Fenster, kann somit der Verhandlung, zumindest auditiv, folgen.
Von diesen theoretischen Aspekten abgesehen zeigt der Bildbereich (5) die Hinrichtungsszene bzw. die Befreieung Frieders. Er steht am Galgen auf einer Leiter, die Schlinge vermutlich um den Hals gebunden (die Violine verdeckt den Bereich, die Seilführung weist aber darauf hin) und spielt auf seiner Violine. Richter, Kläger und die Dorfbevölkerung tanzen. Auf dem Galgengerüst liegt ein Mann, der – anders als die übrigen Personen des Bogens – den Rezipienten betrachtet und somit die dritte Wand durchbricht. Eine Helebarde weist anthropomorphe Züge auf und der Meilenstein oder Grabstein am unteren rechten Bildrand verweist auf den Zeichner Franz von Pocci sowie das Entstehungsjahr des Bogens, 1854.
Panelgruppen lassen sich nicht bestimmen. Narrationsgruppen finden sich in den Subpanels (1) (Gruppe 1), Subpanel (2) bis (4) (Gruppe 2) und Subpanel (5) (Gruppe 3). Folgende Induktionsmethoden werden verwendet: (1) → (2) Von Szene zu Szene, (2) → (3) Von Szene zu Szene, (3) → (4) Von Szene zu Szene, (4) → (5) Von Gegenstand zu Gegenstand (die Handlung baut aufeinander auf, man befindet sich in einer Szene, in der sich nur Details verändern). Bildmittelpunkt des Bogens bildet eine tanzende Person links neben dem Galgengerüst, der eine Longbob-Frisur (Prinz-Eisenherz-Schnitt) trägt, den Fokus bildet eine Person, die auf dem Galgengerüst liegt (er trägt Federn an seiner Kopfbedeckung) und den Rezipienten anblickt. Auf der McCloud-Realismusskala befindet sich die Illustration im Bereich 69 – 71, 81 – 83 sowie 92 – 94. Das Hauptpanel verwendet den Establishing Shot, die fünf Subpanels wurden Auf Augenhöhe illustriert.
Der Deutsche Bilderbogen Nr. 182, Der Jude im Dorn, erzählt das Grimm’sche Märchen mit Hilfe von sechs Panels und zählt folglich nicht zu den Metapanels. Der sich im Korpus befindliche Bogen wurde erheblich beschädigt – zur Rekonstruktion der fehlenden Bildinhalte wird deshalb eine Reproduktion des Germanischen Nationalmuseums herangezogen.[11] Die folgende Tabelle untersucht den Bilderbogen, der Text wurde – ob seiner Länge – zusammengefasst.
Analysetabelle anzeigen …Deutsche Bilderbogen Nr. 182 | |
Panel 1 | Text (T): Ein reicher Mann beschäftigt einen Knecht, dieser fordert nach drei Jahren seinen Lohn ein. Ihm werden drei Heller gewährt, einer für jedes Arbeitsjahr. Glücklich über den vermeintlichen Reichtum zieht der Knecht in die Welt hinaus.
Bild (B): Knecht feilscht mit seinem Herrn. Im Gegensatz zum Münchener Bilderbogen Nr. 122 ist hier nicht etwa der Knecht krummbeinig oder untersetzt, sondern sein Herr. Dieser trägt einen Hut, darunter lange Haare, seine Nase krümmt sich. Weiterhin trägt er einen Mantel, Strumpfhosen und Schuhe. Der Knecht hingegen weist eine große Statur auf, ein ebenmäßiges Gesicht mit einem Schnurrbart und einer graden Nase. Auch der Knecht trägt eine kurze Hose, darunter Strumpfhosen, Schuhe eine Jacke, ein Hemd sowie einen Gehstock und einen Rucksack. Fokus (F): Knecht und Herr. Bildmittelpunkt (BM): Leer. Perspektive (P): Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 2 | T: Der Knecht trifft am Wege ein kleines, armes Männlein, das ihn um sein Geld bittet. Aus Mitleid gibt er ihm das Geld und erhält als Gegenleistung drei Wünsche. Der Knecht wünscht sich ein Vogelrohr, eine Fidel, die alle Menschen in Tanzwut versetzt, sowie die Fähigkeit, dass ihm keiner einen Wunsch abschlagen kann.
B: Am waldigen Wegesrand sitzt ein kleiner Mann mit einem Krückstock. Er trägt eine Halskrause, einen Vollbart sowie ein den ganzen Körper bedeckendes Gewand. Lediglich die Beine sind zu erkennen, sie lassen auf eine Hose schließen. Der Knecht, inzwischen trägt er einen Umhang, schüttet den Inhalt seines Geldbeutels in die rechte Hand des kleinen Mannes. F: Geldbeutel und Geld. BM: Arm / Hand des Knechts. P: Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 3 | T: Der Protagonist begegnet einem Juden, der einen Vogel besitzen möchte und tötet für ihn das Tier. Als der Bittsteller das Tier ergreifen möchte und sich in einen Dornenbusch begibt, beginnt der Knecht aufzuspielen und sein Opfer in Tanzwut zu versetzten. Er hört erst auf zu spielen, als der Gequälte ihm sein gesamtes Vermögen schenkt.
B: Der Jude tanzt im Dornbusch. Zwischen den Dornenzweigen schlängelt sich ein Titelband mit der Aufschrift: „Der Jude im Dorn.“ Rechts neben dem Tänzer, der einen langen Bart, mittellange Haare sowie einen Gehrock, sowie Hosen und Schuhe trägt, liegt ein toter Vogel. In der rechten Hand hält das Opfer einen Geldbeute. F:Geldbeutel. BM: Jude. P: Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 4 | T: Der Jude zeigt seinen Peiniger an, dieser wird verhaftet und dem Richter vorgeführt und zum Tode verurteilt.
B: Links im Bild sitzt ein Richter sowie eine schemenhafte Person mit identischer Frisur hinter einem Tisch; vor dem Richter hockt, zusammengekauert, eine weitere Person der Jurisprudenz auf einem Stuhl. Aufgrund seiner Juristenfrisur und einer extrem spitzen Nase erinnert er an einen Teufel. Der Kläger zeigt mit einer Hand auf seinen Peiniger, dieser steht mit einer Flinte bewaffnet und einer Geige, die er vor den Bauch gebunden hat, rechts im Bild. F: Jude. BM: Jude. P: Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 5 | T: Während der Hinrichtung lässt sich der Knecht einen letzten Wunsch gewähren und musiziert. Auf diese Weise gelingt es ihm, seine vermeintliche Unschuld zu beweisen, indem er die Menge und insbesondere sein Opfer in Tanzwut versetzt.
B: Auf dem Marktplatz: Der Knecht steht an den Galgen gelehnt und musiziert. Der Scharfrichter (er trägt einen zur Enthauptung geeigneten Doppelhänder) sowie das anwesende Rechtswesen und einige Schaulustige tanzen sich in Ekstase. Andere liegen bereits erschöpft am Boden (was allerdings der Logik des Märchens wiederspricht – ihm zu Folge müsste jene Person bereits vor Erschöpfung gestorben sein). Der Jude indes befindet sich in der Mitte des Bildes und tanzt ebenfalls. F: Jude. BM: Jude. P: Augenhöhe. |
Indmeth. | Von Szene zu Szene. |
Panel 6 | T: Der Richter lässt den Juden zum Galgen bringen, wo man ihn exekutiert.
B: Zwei Männer bringen den Juden, der sich zu wehren versucht, zum Galgen. Sie stehen vor einem Durchgang; im Hintergrund sind schemenhaft Galgen und Scharfrichter mit Beil zu erkennen. F: Jude. BM: Jude. P: Augenhöhe. |
Im Bilderbogen sind keine Panelgruppen vorhanden, denn jedes Bild zeigt für sich einen Ausschnitt der Geschichte. Dennoch bilden sich übergreifende Narrationsgruppen. Panel 1 bis 3 zeigen szenenartige Momentaufnahmen und bilden die ersten Gruppe. Der Knecht fordert seinen Lohn (Panel 1), er schenkt sein Geld einem armen Männlein (Panel 2) und quält einen Juden (Panel 3). Panel 3 bis 6 illustrieren die Hauptgeschichte und bilden Gruppe 3. Der Jude wird gequält und um sein Geld gebracht (Panel 3), er zeigt seinen Peiniger an (Panel 4), der Knecht wird verurteilt und spielt sich frei (Panel 5) und der Jude wird zur Exekution geleitet (Panel 6). Gruppe 2 steht zur Diskussion und kann nicht einwandfrei als eigene Gruppe bestimmt werden, denn Panel 3 lässt sich sowohl als eigenständiges Bild als auch zur Gruppe 1 oder Gruppe 3 zuordnen: Es kommt zu einer Überschneidung.
Sobald der Jude im Bilderbogen auftritt, steht er im Bildmittelpunkt und Fokus, was auch bereits durch den Titel Der Jude im Dorn nahegelegt wird. Die sechs nicht umrandeten und sich selbst begrenzenden Panels werden einzig durch die Induktionsmethode Von Szene zu Szene miteinander verknüpft und die Problematik der Induktionsmethoden verdeutlicht sich: Sowohl die tatsächlich szenenhaften Panels 1 bis 3, die lediglich durch den begleitenden Text miteinander in Verbindung gebracht werden und erhebliche Raum- und Zeitsprünge verwenden (es werden dezidiert andere Orte bzw. Zeiten gezeigt)[12], stehen Panels gegenüber, die offensichtlich aufeinander aufbauen (Panel 4 bis 6), aber trotzdem durch den schnellen Ortswechsel keine andere Induktionsmethode zulassen. Innerhalb des Bogens wird einzig die Perspektive Auf Augenhöhe verwendet.
Besonders sticht Panel 5 hervor, denn es erinnert in seiner Größe – es nimmt die Hälfte des Bogens ein – an das Metapanel aus dem Münchener Bilderbogen Nr. 122. Im Direktvergleich zeigen sich die Unterschiede zwischen einem Metapanel und einem übergroßen Einzelpanel aus einer Panelstruktur. Während im Münchener Bilderbogen mehrere Teilbereiche verschiedene Aspekte der Geschichte illustrieren, eine offensichtliche Trennung jedoch nicht vorkommt, zeigt das Einzelpanel des Deutschen Bilderbogens lediglich den Marktplatz vor der Hinrichtung. Menschen verfallen in Tanzwut; der Jude steht im Bildmittelpunkt und nicht wie im Metapanel rechts von Frieder.
Die Leserichtung des Bogens entspricht nicht der Westlichen. Diese würde wiefolgt ausfallen: Panel 1, 3, 2, 4, 6, 5, d. h. zwischen Panel 1 und 2 steht Panel 3, neben Panel 4 wurde der Textkasten platziert, es folgt Panel 6 und unter die zweite Hälfte des Bogens wird von Panel 5 eingenommen. Das Verhältnis von Text und Bild ist textlastig, d. h. der Text fügt den Bildern Informationen hinzu, die sich aus den Zeichnungen nicht allein erschließen lassen. Auf der McCloud Realismusskala entsprechen die Zeichnungen dem Bereich 44 – 51, 60 – 64 sowie 81 – 91.
Belege:
[1] Vgl. Grimm, Jacob und Wilhelm: Der Jud‘ im Dorn. Anmerkungen. In: Kinder- und Hausmärchen. Band 3. S. 203.
[2] Vgl. Vgl. Grimm, Jacob und Wilhelm: Der Jud‘ im Dorn. Anmerkungen. In: Kinder- und Hausmärchen. Band 3. S. 203.
[3] Vgl. Grimm Grimm, Albert Ludwig: Ein lustiges Mährlein vom kleinen Frieder mit seiner Geige. In: Albert Ludwig Grimm: Lina’s Mährchenbuch. Eine Weynachtsgabe. Erster Band. Mit Kupfern. Frankfurt am Main 1816. S. 158 – 187.
[4] Vgl. Schade, Ernst: Der Kinder- und Jugendschriftsteller Albert Ludwig Grimm und sein Werk. In: Albert Ludewig Grimm: KinderMährchen. Mit einem Nachwort und Kommentar von Ernst Schade. Hildesheim 1992. S. 211.
[5] Albert Ludwig Grimm publizierte in seinen KinderMärchen von 1809 bereits eine frühe dramatisierte Fassung von Schneewittchen als Zweiakter. Darüber hinaus befand man sich mit den Namensvettern in stetiger Konkurrenz:
Seine Märchen als Kinderliteratur konkurrierten seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts, als in einigen Schul-Lesebüchern die ersten Märchen aufgenommen wurden, mit den Märchen der Brüder Grimm. Da man zu dieser Zeit in Lesebüchern lehrreichen Märchen mit parabolischem oder fabelartigem Charakter den Vorzug gab, übernahm man zunächst viele Märchen von Albert Ludwig Grimm. Erst als sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts literaturdidaktische Veränderungen anzeigten, gewannen die Märchen der Brüder Grimm in Lesebüchern größere Bedeutung.
Die Märchenpublikationen A. L. Grimms waren den Brüdern Grimm durchaus bekannt, wie auch deren Märchen ihrem Namensvetter. Man polemisierte gegeneinander und stritt sogar miteinander, wobei man die unterschiedlichen Absichten, die man mit den Publikationen verfolgte, und die voneinander abweichenden Zielgruppen, die man ansprechen wollte, in den gegenseitigen Beurteilungen unberücksichtigt ließ. (Schade, Ernst: Der Kinder- und Jugendschriftsteller Albert Ludwig Grimm und sein Werk. S. 211 f.)
[6] Schade, Ernst: Der Kinder- und Jugendschriftsteller Albert Ludwig Grimm und sein Werk. S. 226 f.
[7] Ebd. S. 227.
[8] In der Erstausgabe der Kinder- und Hausmärchen finden sich charakterliche Varianzen des Protagonisten. Zwar wird er als gutmütig und einfältig bezeichnet [Vgl. Grimm, Jacob und Wilhelm: Der Jud‘ im Dorn. In: Kinder- und Hausmärchen (1812 – 15). S. 353], das Aufeinandertreffen mit dem Juden zeigt aber auch eine bösartige Seite des Jungen:
Die Leute hast du genug geschunden, dachte der lustige Knecht; so geschieht dir kein Unrecht, und spielte einen neuen Hüpfauf. Da legte sich der Jud‘ auf Bitten und Versprechen und wollte ihm Geld geben, wenn er aufhörte, allein das Geld war dem Knecht erst lange nicht genug und trieb ihn immer weiter, bis der Jud‘ ihm hundert harte Gulden verhieß, die er im Beutel führte und eben einem Christen abgeprellt hatte.
[Grimm, Jacob und Wilhelm: Der Jud‘ im Dorn. In: Kinder- und Hausmärchen (1812 – 15). S. 354]
Dem Richter wird ein ähnliches Schicksal zuteil, denn der Junge hört erst auf zu spielen, als er begnadigt wird und sein Diebesgut behalten darf. Der Jude selbst erpresst er zu einem Geständnis und man exekutiert an des Jungen Stelle. [Vgl. Grimm, Jacob und Wilhelm: Der Jud‘ im Dorn. In: Kinder- und Hausmärchen (1812 – 15). S. 355]
[9] Vgl. Pocci, Franz: Das lustige Märlein vom kleinen Frieder mit seinem Vogelrohr und seiner Geige. München 1839. S. 3 – 15.
[10] Ebd. S. 15.
[11] Vgl. Scherenberg, Hermann: Der Jude im Dorn. Deutsche Bilderbogen für Jung und Alt. Nr. 182, http://www.bildindex.de/document/obj00024040?part=0&medium=mi08055d13 [Konsultiert am 08.08.2017].
[12] Vgl. hierzu: Mc Cloud, Scott: Comics richtig lesen. S. 78 – 80. Und: Mc Cloud, Scott: Comics machen. S. 16 – 17.